, Die Idee einer geländeverbindenden Kommune // antifaschistische Stadtkommune Berlin // CyborgSociety.org
Texte
Kritik der Esoterik
Kritik der Kleinfamilie

"Die Cyborg ist eine überzeugte AnhängerIn von Partialität, Ironie, Intimität und Perversität. Sie ist oppositionell, utopisch und ohne jede Unschuld.
Cyborgs sind nicht mehr durch die Polarität von öffentlich und privat strukturiert, Cyborgs definieren eine technologische Polis, die zum großen Teil auf auf einer Revolution der sozialen Beziehungen im oikos, dem Haushalt beruht."

(Donna Haraway)

 

english  

Die Idee einer geländeverbindenden Kommune

Aus CONTRASTE Nr. 274/275 (Sommer 2007)

Alles für alle und überall alles!

Meine Existenz nicht alleine bestreiten zu müssen, auch mal ohne eigenen Job über den nächsten Monat kommen, die alltäglichen Dinge gemeinsam mit anderen organisieren und dabei nicht auf kleinfamiliäre Verhältnisse zurückgreifen zu müssen ... Das alles verbinde ich mit gemeinsamer Ökonomie und denke, dass es mit Hilfe einer solchen auch noch weit über die Dreißig möglich sein wird, gesellschaftskritisch aktiv zu sein.

Franziska Roth, Antifaschistische Stadtkommune, Berlin - Jedoch kann ich mir nicht vorstellen, mein Leben auf einen Ort und eine Gruppe festzulegen. Auch würde es mir schwer fallen, darauf zu vertrauen, dass eine einzelne Gruppe es alleine schafft, ökonomisch und sozial die Widrigkeiten des Lebens zu meistern. So entstand in unserer Kommunegründungsgruppe die Idee einer Kommune mit mehreren Gruppen und an verschiedenen Orten.

Vor etwas mehr als einem Jahr verschickten wir eine Einladung (siehe www.cyborgsociety.org) an alle möglichen Menschen, ummit anderen diese Idee weiterspinnen und in die Praxis umsetzen zu können.

Inzwischen sind wir ein paar Gruppen in Berlin und Brandenburg, die sich auf den Weg hin zu einer geländeübergreifenden Kommune gemacht haben. Zwei davon, die antifaschistische Stadtkommune in Berlin und die Kommune Feuerland bei Brüssow haben auch schon begonnen nach Bedarf und ohne Tausch zu kooperieren: z.B. beim gemeinsamen Weihnachtsbaumverkauf, bei der Unterstützung des Mostereibetriebes der FeuerländerInnen mit Arbeitskraft, sowie bei der unentgeltlichen Stillung des Durstes nach Apfelsaft.

Beim diesjährigen Los Geht's waren Menschen aus Feuerland und Berlin, um neue KommunardInnen für ihre Gruppen zu finden. Die Vorstellung der geländeübergreifenden Kommune sollte eigentlich nur nebenbei stattfinden.

Jedoch interessierten sich mehr als 30 Menschen - Einzelpersonen, wie auch Menschen aus bestehenden Kommunen - dafür und wollten mehr erfahren.

Weitere Regionalvernetzungen, z.B. in Thüringen zur Bildung einer geländeübergreifenden Kommune wurden angeregt. So können dezentral Erfahrungen gesammelt werden und mal schauen, vielleicht ist langfristig mehr als nur Austausch denkbar.

Bei der Veranstaltung teilten wir uns nach einem kurzem Überblick in zwei Gruppen. Ausgehend vom Stichwort "Vertrauen" wurde in diesen folgendes diskutiert. "Beschlüsse" oder ähnliches wurden dabei nicht gefasst - das Aufgeschriebene soll nur zum Weiterdenken anregen.

Für "ExpertInnen einzelner Arbeitsbereiche" wird das switchen zwischen den Gruppen vielleicht schwer, denn wenn sie weggehen könnte es sein, dass ein ganzer Arbeitsbereich wegfällt. Ja vielleicht, aber die Möglichkeit, dass Leute einfacher den Ort wechseln können, fördert vielleicht auch, dass sich solche starren Rollenverteilungen in den lokalen Gruppen nicht so sehr einschleichen, denn einem emanzipativen Anspruch nach sind sie ja eigentlich nicht gewollt. Zumindest nicht bei den Arbeitsbereichen, die sich mit der Organisation der Kommune selbst beschäftigen. Ansonsten ist ein Ortswechsel und die damit einhergehenden Engpässe eine Frage der Absprache. Der Vorteil ist, selbst bei Ortswechsel verbleibt die Person in der (geländeübergreifenden) Kommune.

Werden dann Ein- und Ausstiegsregeln für Gruppen notwendig? Wahrscheinlich schon sinnvoll. Analog zur Praxis, die in vielen Kommunegruppen für Einzelpersonen Anwendung findet, wurde vorgeschlagen, dass das aufeinander Einlassen Stück für Stück mit Reflektionsphasen passiert. Falls es zu einer Trennung kommen sollte, dann wird weitestgehend nach den ökonomischen Bedürfnissen der Einzelgruppe entschieden, da sie es wahrscheinlich schwieriger haben wird, wieder alleine klar zu kommen. Dabei sollte selbstverständlich der Rest der Gruppen ökonomisch weiter bestehen können. Mehrere Personen oder eine Gruppe aus dem verbleibenden Zusammenhang von Gruppen sollte dem Ausstieg unterstützend zur Seite stehen.

Wie viel Unterschiedlichkeit ist möglich? Wir, die Gruppen aus Berlin und Brandenburg, haben uns auf einen emanzipatorischen Minimalkonsens  geeinigt. Dieser beinhaltet z.B.: die Ablehnung von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, missionierender Religion und welterklärender Esoterik. Der Wille zur permanenten Auseinandersetzung damit ist Grundvoraussetzung für die Kooperation. Ansonsten sind unsere Gruppen sehr unterschiedlich.

Wie sieht's mit Gesundheits-, sowie Altersversorgung und Pflege aus? Das geht sicher viel besser zu gewährleisten, als mit einer einzelnen Kommunegruppe. Denn die ökonomische Basis ist größer, Leute können schnell mal zu anderen fahren und diese unterstützen.

Bestehende Erfahrungen? Einmal gibt es die Kibbuzim in Israel. Sicher mit anderem Entstehungshintergrund und anderen Verhältnissen heutzutage - ein Kapitel für sich. In Europa gibt's das Netzwerk der Longo maï, welches mit einem Koordinationsbüro in Basel zentraler organisiert ist, aber doch einiges ähnlich läuft, wie wir uns das vorstellen. Und das schon seit 30 Jahren.

Wäre es sinnvoll Alternativen zum persönlichen Vertrauen aufzubauen (z.B. Verträge)? Wie Entscheidungen treffen? Wenn es Verträge gäbe, die das Vertrauen ersetzen sollen, an wen müsste mensch sich wenden, wenn die Verträge gebrochen würden? An den Staat. Nein danke. Wir wollen es mit der Methode "Ich vertraue dir, weil dir eine Person vertraut, der ich vertraue" probieren. Hinzu kommen Transparenz, geeignete Kommunikationsmittel und dezentrale Entscheidungen auf Basis des Betroffenenprinzips. Letzteres bedeutet, dass nicht alle alles entscheiden, sondern nur die von der Entscheidung Betroffenen. Der Einsatz von z.B. groupwares, mit denen die Ressourcen-, Zeit- und Aufgabenplanung und deren Verknüpfungen transparent, dezentral organisiert werden kann, kann helfen, auch im Hinblick auf den Abbau von Hierarchien.

Das verlangt die Bereitschaft zur Anwendung und birgt eine hohe Verantwortung für jedeN Einzelne/n.

Aber he, wieso nicht versuchen? Es wäre doch cool, wenn wir uns gegenseitig unterstützen, diese und andere Verantwortungen zu übernehmen.

Und so könnte doch ein Netz von verbindlicher Solidarität entstehen und irgendwann vielleicht eine Gesellschaft, die tatsächlich anders funktioniert, als durch staatliche Ordnung durchgesetzt. Wir wünschen allen Kommunen, welche sich in Zukunft zusammentun alles Gute und viel Gelingen. Für eine gemeinsame Perspektive ist uns wichtig, dass das Konzept "Kommune" nicht nur in der inhaltsleeren ökonomischen Form betrieben wird. Wir wünschen uns daher eine klare Positionierung aller Beteiligten gegen Herrschaft und Ausbeutung in all ihren Formen sowie die Einsicht in die Notwendigkeit, die Idee einer befreiten Gesellschaft gegen alle regressiven Ideologien und Tendenzen zu verteidigen.