Dies ist der ursprüngliche 1845 von Marx geschriebene Text
Hier findet sich die von Engels 1888 als Anhang zu "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der deutschen Philosophie" publizierte Fassung
1
Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit
eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit,
nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt
wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis;
nicht subjektiv. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz
zu dem Materialismus vom dem Idealismus - der natürlich die wirkliche,
sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt - entwickelt. Feuerbach
will sinnliche - von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedne
Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht
als gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher im
"Wesen des Christenthums" nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche,
während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform
gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der
"revolutionären", der "praktisch-kritischen" Tätigkeit.
2
Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit
zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage.
In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit
und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über
die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens - das von der
Praxis isoliert ist - ist eine rein scholastische Frage.
3
Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände
und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen
verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß
daher die Gesellschaft in zwei Teile - von denen der eine über ihr
erhaben ist - sondieren.
Das Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen
Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre
Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.
4
Feuerbach geht aus von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung,
der Verdopplung der Welt in eine religiöse und eine weltliche Welt.
Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage
aufzulösen. Aber daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst
abhebt und sich ein selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist
nur aus der Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen dieser weltlichen
Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also in isch selbst
sowohl in ihrem Widerspruch verstanden als praktisch revolutioniert werden.
Also nachdem z.B. die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie
entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch und praktisch vernichtet
werden.
5
Feuerbach, mit dem abstrakten Denken nicht zufrieden, will die
Anschauung;
aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als praktische
menschlich-sinnliche
Tätigkeit.
6
Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen
auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes
Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen
Verhältnisse.
Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht,
ist daher gezwungen:
1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse
Gemüt für sich zu fixieren, und ein abstrakt - isoliert -
menschliches Individuum vorauszusetzen;
2. Das Wesen kann daher nur als "Gattung", als innere, stumme, die vielen
Individuen natürlich verbindende Allgemeinheit gefaßt
werden.
7
Feuerbach sieht daher nicht, daß das "religiöse Gemüt"
selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum,
das er analysiert, in Wirklichkeit einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.
8
Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle
Mysterien, welche die Theorie zum Mystizism[us] veranlassen, finden ihre
rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser
Praxis.
9
Das Höchste, wozu der anschauende Materialismus kommt, d.h. der
Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Tätigkeit
begreift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen und der bürgerlichen
Gesellschaft.
10
Der Standpunkt des alten Materialismus ist die bürgerliche Gesellschaft;
der Standpunkt des neuen die menschliche Gesellschaft, oder die gesellschaftliche
Menschheit.
11
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert;
es kömmt drauf an, sie zu verändern.
Geschrieben im Frühjahr 1845.
Nach der Veröffentlichung des
Marx-Engels-Lenin-Instituts,
Moskau, 1932.
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