|
Einleitung (5min)
Bevor wir beginnen: Wir sind keine Expertinnen auf dem Gebiet der
Esoterik. Da gibt’s andere, die sich weitaus länger und intensiver mit
dem Thema beschäftigt haben als wir. Dementsprechend sind auch die
Diskussionen über Esoterik nicht neu, und inzwischen derart umfassend,
dass wir nur einige Ausschnitte heute Abend beleuchten können.
Warum es sich trotzdem weiterhin und immer wieder lohnt, sich
(auch als Laie) mit Esoterik und insbesondere mit der Kritik an
Esoterik auseinander zu setzen hoffen wir im Folgenden etwas deutlich
machen zu können. Als erster Grund für eine Auseinandersetzung mit dem
Phänomen Esoterik zunächst einmal eine Feststellung: nämlich, dass
Esoterik in all ihren Facetten sichtbarer und etablierter ist denn je.
Der Esoterikmarkt boomt. [Bild 2] In fast jeder Stadt gibt es
esoterische Buchläden, 15 % des jährlichen Gesamtumsatz des Buchhandels
wird von esoterischer Literatur erwirtschaftet. In Arztpraxen finden
sich neben den üblichen Klatschblättern inzwischen zahlreiche
Broschüren über alternative Heilungsmethoden und/ oder spirituelle
Heilserwartungen. Die Flugblätter, die vor allem in Ökoläden Leserinnen
und Leser einladen, an meist überteuerten Kurse mit dem Ziel der
Selbsterkenntnis teilzunehmen, scheinen integraler Bestandteil einer
alternativen Kultur geworden zu sein. Esoterik wird von vielen Menschen
angenommen. Ob das Einrichten der Wohnung nach FengShui, der Glaube an
Amulette oder magische Steine, an UFO’s, kosmische Energien oder
einfach die euphorische Beschäftigung mit Dingen die zum persönlichen
Seelenheil führen – Esoterik wird von vielen Menschen akzeptiert und in
viele Lebensbereichen integriert.
Beispiel Einstiegsdroge Astrologie:
erfuhr in den letzten Jahren starken Zuwaschs:
Mitte der 90er lasen 77% der Deutschen regelmäßig ihr Horoskop
(1977: 46% der deutschen Bevölkerung).
Dies führt zu der Frage danach, welche Funktion Esoterik eigentlich
erfüllt. Der Grund für diese Akzeptanz liegt also scheinbar darin, dass
Esoterik die Menschen als Individuen anspricht, ihren einzelnen
Bedürfnissen entgegenkommt. Esoterik wird immer auf persönlicher Ebene
verstanden und umgesetzt. Das Glück des Lebens, das Seelenheil, ein
langes Leben – diese Dinge können angeblich mit esoterischen Mitteln
erreicht werden, indem Jeder und Jede bei sich selbst mit der
Veränderung beginnt.
[Bild 3: Lebensfreude durch Lichtenergie]
Nun zum zweiten Grund, sich mit Esoterik kritisch auseinander zu
setzen. Die Beschäftigung mit der persönlichen Entwicklung und
Veränderung schafft ein falsches Bewusstsein für die Ursachen
vermeintlich individueller Probleme. Die individuellen Auswege aus
diesen Problemen sind in Wahrheit aber Reaktionen auf die
gesellschaftlichen Verhältnisse. Esoterik ist Teil und Ausdruck dieser
Verhältnisse, und stellt zugleich die Lösung parat.
Das kapitalistische System in seiner extremen Ausformung der
freien Marktwirtschaft und der Ideologie des Neoliberalismus stellt die
Menschen vor enorme Herausforderungen. Die Teilnahme an dem großen
Markt der Möglichkeiten bleibt letztlich nur wenigen vorbehalten, statt
dessen stehen immer mehr Menschen vor prekären Arbeits- und
Lebensverhältnissen, die von ihnen eine immer größere Mobilität und
Flexibilität verlangen.
Hinzu kommen weitere Faktoren: Da wird z.B. Islamphobie oder
Antisemitismus gesellschaftlich gemainstreamt, und der von Huntington
hervorbeschworene „clash of civilisations“ oder auch „Kampf der
Kulturen“ erfährt eine ungeahnte Renaissance. Hinzu kommen außerdem die
nicht abreißenden Umweltkatastrophen und die zunehmende Angst vor dem
Klimakollaps und dem Ende der Menschheitsgeschichte überhaupt.
Die Folgen all dieser Dinge auf das Individuum sind: permanente
Unsicherheit, sowie eine verstärkte Zukunftsangst. Die individuellen
Auswege daraus sind vielfältig, jedoch: insbesondere esoterische
Strömungen erhalten insbesondere Zulauf, da sie den Menschen ein
sinnerfülltes Dasein in einem scheinbar sinnlosen Leben versprechen.
Ein letzter Grund sich kritisch mit Esoterik auseinander zu
setzen ist ihre Nähe zu konservativem Gedankengut. [Bild 4] Seit dem
Zusammenbruch des Ostblocks, spätestens seit Anfang der 90er Jahre ist
ein konservativer Backlash zu verzeichnen, der nicht nur das Erstarken
des rechtsnationalen Lagers mit sich gebracht hat, sondern als
gesamtgesellschaftliches Phänomen zu betrachten ist. Dies wird
insbesondere hierzulande deutlich: Die Konstruktion der neuen deutschen
Identität mit Nationalbewusstsein à la „Du bist Deutschland“, dem sich
Prominente sämtlicher politischer Lager anschließen, hat inzwischen die
gesellschaftliche Mitte erreicht. Die Mittel der Ausgrenzung
sogenannter Nicht-Deutscher, angefangen bei rassistischen Übergriffen,
übers Zuwanderungsgesetz bis hin zum Antisemiten Ex-Möllemann, sind
vielfältig wie nie zuvor.
Deutlich zeigt sich dieser neue Konservatismus auch in der
Geschlechterdiskussion. „Gender Mainstreaming“ wird als das ultimative
Konzept verkauft; die Wirren der Emanzipation scheinen endgültig
überwunden. Verbliebene Wunden im patriarchalen Denken werden geheilt
durch erneute geschlechtsspezifische Zuteilungen. Das Buch „Männer sind
vom Mars, Frauen von der Venus“ war monatelang Bestseller in den USA.
Das pseudowissenschaftliche Pendant in Deutschland wird durch
Langenscheidts Mann-Deutsch oder Frau-Deutsch-Wörterbuch repräsentiert
und unglaublich lustig gefunden. Ein Nein der Langenscheidt-Frau
bedeutet darin „in Wirklichkeit“ ja- übertragen wir diese Definition
auf eine mögliche Vergewaltigungsszene, können WIR nicht lachen,
sondern müssen kotzen.
Was hat das nun mit Esoterik zu tun?
Die Betrachtung gesellschaftlicher Krisenzeit als Problem der
Individuen ist ganz im Sinne konservativer Politik: statt
gesellschaftskritisch zu handeln, findet ein Rückzug ins Private statt.
Gesellschaftliche Gegebenheiten werden als solche hingenommen und
reproduziert. Was zählt ist das eigene Wohlbefinden im System und nicht
die Veränderung desselben. Esoterik bietet einen Fluchtweg aus den
gesellschaftlichen und kapitalistischen Verhältnissen.
In diesem Kontext ist es auch wichtig, seinen Blick auf
Jugendbewegungen und Subkulturen zu richten. [Bild 5] Jugendlicher
Selbstfindungsprozess, Auflehnung gegen die Norm sowie Orientierung an
einem bestimmten Lifestyle mischen sich z.B. im Heavy Metal, aber
insbesondere auch im Dark Wave und in der Gothic Szene mit
konservativen bis rechtsextremen Inhalten und Symbolen sowie mit
esoterischen und vor allem romantischen Weltanschauungen. Die Übernahme
zahlreicher heidnischer Elemente wie Runen oder Sommersonnwendfeiern in
diesen Szenen geht dabei oft bis ins kulthafte. Aber auch viele
sogenannte Alternative oder auch nicht wenige Hippies bedienen sich in
ihrer gesellschaftskritischen Naturverbundenheit esoterischen Mitteln
und Argumentationen. Zum Zusammenhang von Ökobewusstsein und Esoterik
kommen wir später noch.
Bemerkenswert ist, dass sich nicht selten vermeintlich
gesellschaftskritische Menschen und vor allem auch ehemals politisch
aktive Menschen und Gruppen von esoterischen Inhalten angesprochen
fühlen, wie sich u.a. am Werdegang einiger VertreterInnen der Grünen
sehr schön sehen lässt. Damit wären wir nun langsam auch an dem Punkt,
der in diesem Vortrag den Schwerpunkt bilden soll: die Linke.
Neben der Erklärung dessen, was Esoterik ist und welche Funktion sie
erfüllt, wollen wir heute der Frage nachgehen, wie es kommt, dass
gerade vermeintlich Linke sich esoterischen Strömungen zuwenden.
Exemplarisch werden wir deshalb zwei esoterische Bewegungen näher
beleuchten, die oft auch im Kontext linker Politik auftauchen: die
Öko-Bewegung und die esoterische Ausformung des Feminismus. Die
esoterische Ideologie hat es sich zu eigen gemacht, ein breites
Spektrum verschiedener Weltanschauungen abzudecken, so dass sich sowohl
Linke als auch Konservative bis Rechtsextreme davon angesprochen
fühlen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, was –in einer These
formuliert – wir heute Abend stark machen wollen: Nämlich, dass sich
linke Politik und Esoterik (sowie sämtliche irrationale
Weltanschauungen) ausschließen müssen.
Doch nun zunächst erst mal dazu, was Esoterik eigentlich ist.
2. Grundzüge der Esoterik (ca. 15min)
Begriffsklärung: Was bedeutet der Begriff, wo kommt er her?
Der Begriff „Esoterik“ leitet sich ab aus dem Griechischen
esoterikón, was „nach innen gerichtet“ bedeutet. Er bezeichnet eine
nach Innen gerichtete, geistige Geheimlehre, die sich mit
Übersinnlichem, rational nicht Erfassbarem und Okkultem beschäftigt.
Okkult kommt von lat: okkult „das Verborgene“. [Bild 6]
Die „moderne“ Esoterik bezieht viele Elemente aus der Romantik
als geschichtlicher Epoche Anfang des 19.Jh. und kann historisch
gesehen als schon damals ablehnende Antwort auf die aufkommende
„Moderne“, Industrialisierung und Aufklärung gesehen werden. 1888
findet mit der Veröffentlichung von Helena Petrowna Blavatskys Buch
„Die Geheimlehre“ dieses „Wissen“ massenhafte Verbreitung, was vorher
in den Geheimlehren der verschiedenen Religionen, so auch der
christlichen und vor allem indischen Mystik und damit nur Eingeweihten/
Auserwählten zugänglich war. Blavatsky (1831-1891) war die Gründerin
der „Theosophical Society“, glaubte an eine „große weiße Bruderschaft“,
der u.a. Krishna, Buddha und Jesus angehörten. Ihre Nachfolgerin (Anne
Alice Bailey) ergänzte sie um weitere „Erleuchtete“ wie Bismarck,
Mussolini, Hitler, Franco und Gandhi (der die „Mitgliedschaft“ aber
vehement ablehnte).
Zentral sind bei den frühen EsoterikerInnen bzw. TheosophInnen
der Glaube an Karma und die Wurzelrassentheorie: Nach der
Wurzelrassentheorie lässt sich die gesamte Menschheitsgeschichte als
eine Abfolge von sieben Menschenrassen beschreiben, welche wiederum in
sieben Unterrassen gegliedert sind, die sich evolutionär ablösen, die
höchste sind – wie sollte es anders sein: die Arier, ein Unfall der
Evolution: Die Juden. [Bild 7]
Die Theosophie verbreitete sich nahezu weltweit und ist für Deutschland
die Vorgängerin der Anthroposophie von Rudolf Steiner (war
Generalsekretär der dt. T. und spaltete sich aufgrund seiner
christlichen Schwerpunktsetzung mit 90% der Mitglieder ab), durch die
viele Grundlagen ihre Institutionalisierung und Verankerung in der
Gesellschaft fanden und finden.
Um die Jahrhundertwende bis zur Gleichschaltung im NS bezogen
sich verschiedenste Bewegungen und esoterische Glaubensrichtungen
direkt oder indirekt auf Blavatskys Lehre. Zu nennen sind hier die
Bewegung der „Lebensphilosophie“ als esoterisch-philosophische
Denkrichtung des Kulturpessimismus, die Wandervogelbewegung [Bild 8],
die Lebensreformbewegung (beide vor allem naturverbunden und romantisch
mit klar antisemitischem, rassistischem und völkischem touch, die
Wandervogelbewegung bezog sich vor allem auch auf den indischen
„Heiligen“ Rabindranath Tagore) und natürlich die Ariosophie, deren
Institutionalisierung in dem Armanen-Orden und der Thule-Gesellschaft
[Bild 9] in relativ reiner Form durch den NS bis heute eindeutig
esoterisch rechts gerichtet ist. Nicht wenige Führungsmitglieder der
NSDAP hatten zwar Verbindungen zu esoterischen Gruppen oder Bewegungen
oder waren selbst Mitglieder, doch war letztendlich jede Form von
Religion Konkurrenz für die NS-Ideologie, so dass die Gruppen entweder
direkt in der Hitlerjugend oder anderen NS-Institutionen aufgingen oder
verboten wurden.
Inhalte
Betrachten wir noch mal die Übersetzung der Begriffe Esoterik und
Okkult sind wir auch schon bei zwei wesentlichen Inhalten oder
Merkmalen der Esoterik angelangt: Esoterik und Okkultismus als „nach
Innen gerichtete“ Lehre entzieht sich ganz bewusst der rationalen
Auseinandersetzung und Verhandlung , sie ist in ihrer Bedeutung nur
ihrer „Anhängerschaft“ zugänglich. Ihr „Erlernen“ besteht darin, ihre
Ideologieelemente durch Zeremonien und Rituale zu „erfahren“.
Diese Schwerpunktsetzung auf „Erfahrung“ und „Innen“ steht dem
Rationalismus gegenüber. Irrationalismus erklärt auf diese oder jene
Weise das wissenschaftliche Denken für unfähig, bestimmte Zusammenhänge
und Gesetzmäßigkeiten der objektiven Realität zu erkennen. Wissenschaft
kann demnach durch Erkenntnisfunktionen wie „Intuition“, „Erleben“ oder
„Wesensschau“ ersetzt werden. Wissenschaft hat in den Augen der
EsoterikerInnen an Glaubwürdigkeit verloren, da sie unfähig ist, alles
im Zusammenhang zu erklären.
Während der Irrationalismus als Wissenschaftskritik eine
interne Reaktion auf die eigene Gesellschaft ist, hat die Esoterik aber
auch gerne Elemente anderer Religionen und Kulturen übernommen und in
unserem Kontext etabliert. Seit Blavatsky, vor WKII aber auch durch die
Wandervögelbewegung, wurden viele Elemente anderer vermeintlich
ursprünglich gebliebener Religionen und Kulturen übernommen. In der
Übernahme fremder Religionspraktiken spiegelt sich die romantische
Kulturkritik wider – das exotische gute Fremde, der edle Wilde -, die
z.B. Buddha als das positiv Andere der als negativ empfundenen eigenen
Kultur entgegenstellt.
Bei einem positiven Bezug auf die eigene Kultur, die nur durch
die „Moderne“ verfremdet ist, ist das Gute natürlich bei den eigenen
Ahnen zu suchen, also in vor-christlichen Kulturelementen. Grundlegend
ist die Annahme, dass es sich hier um „altes Wissen“ handelt, dass in
der „Moderne“ verloren gegangen ist und nicht mehr durch Logik oder
Aufklärung sondern durch Erfahren und alte Meister wieder „erlernt“
bzw. v.a. erfahren werden kann. Im deutschen und rechten Kontext sind
das vor allem sogenannte „heidnische“, d.h. keltische und germanische
„re-konstruierte“ Symbole und Praktiken, oftmals aber fernöstliche,v.a.
buddhistische/hinduistische Elemente, deren zentralste Punkte
Wiedergeburt und Karmaglaube sind.
[Bild 10]:
„ (…) Karma ist die Summe unserer Handlungen, sowohl im gegenwärtigen Leben als auch in früheren Geburten. (…) . Du bist kein Geschöpf von Umgebung oder Umständen. Du bist der Architekt Deines Glücks. Du bist verantwortlich dafür, was Du erleidest.(…)Wohltätigkeit in Deinem vergangenen Leben, bringt Dir Reichtum im gegenwärtigen Leben. Dienst an der Menschheit in Deinem vergangenen Leben, macht Dich zum berühmten Führer im gegenwärtigen Leben.“
(Aus: "Göttliche Erkenntniss", von Swami Sivananda, einer Yoga-Seite im Internet).
Der Mensch ist demnach nicht das, was die Welt, seine
Sozialisation, seine Stellung in der Gesellschaft aus ihm gemacht hat
und womit er sich kritisch auseinandersetzen kann, sondern allein
Produkt seiner eigenen Handlungen und Denkweisen, in welchem Leben auch
immer. Wenn es dir schlecht geht, weil du deinen Job verloren hast,
musst du nicht gegen das System ankämpfen sondern positiv denken und
dir und der Welt gegenüber freundlich und gnädig sein. Es kommt nur
darauf an, das Positive zu sehen, positiv zu denken, dann würde sich
die Realität von selbst einrichten. [Bild 11] Es geht nicht um das
Aushandeln von Konflikten, sondern um das Aussitzen. So kann der
Rückzug vor allem junger Menschen aus der gesellschafts-politischen
Verantwortung esoterisch begründet und legitimiert werden. Esoterik ist
für die Existenzängste breiter Schichten der Bevölkerung eine passende
Ideologie, die die empfundene Ohnmacht ertragbar scheinen lässt und sie
sogar kultiviert.
Der Glaube an schicksalhaft-karmische Vorbestimmtheit von Ereignissen –
und danach haben alle Geschehnisse auf der Erde ihre Berechtigung - ist
nicht unproblematisch und nimmt in der rechts-esoterischen Ideologie
nicht nur geschichtsrevisionistische Züge an, sondern legitimiert nicht
zuletzt die Shoah/Holocaust als karmisch-vorherbestimmtes und somit
rechtmäßiges Ereignis.
Entsprechend der Annahme, dass es eine kosmische Ordnung gibt,
die die Welt (und was unter Umständen noch darüber hinaus bestehen mag)
als Ganzes betrachtet und erfahren werden muss, hat sich der Begriff
der Ganzheitlichkeit etabliert. Die Widersprüche der Realität werden
nicht durch dialektisches, kritisches Denken erklärt sondern durch das
Prinzip der „Einheit der Gegensätze“ (Yin und Yang), das den Kampf als
Triebkraft der Entwicklung (Marxismus, Materialismus) negiert.
Entsprechend des ganzheitlichen Weltbildes gibt es einen
Glauben an eine natürliche Ordnung, die entsprechend dem Glauben an
Karma und Vorherbestimmung die Gesellschaft nicht als historisches
Produkt des Wirkens der Menschen sieht, sondern als vom Menschen
zerstörten Urzustand. Wenn von einer idealen ursprünglichen Ordnung
ausgegangen wird, so ist die Annahme, dass es natürliche Gesetze gibt,
die es zu befolgen gilt, immanent. Das lässt sich gut mit dem oftmals
vorherrschenden blinden Glauben an die Erkenntnisse des Meisters, des
Guru, des Propheten und einer gott-oder-von-wem-auch-immer-gegebenen
Hierarchie verbinden.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Darwin über die
Ordnung der Natur und der Evolution wurden – entgegen seinem Willen –
nicht nur in der Rassenkunde oder Blavatskys Wurzelrassentheorie,
sondern auch in der Esoterik auf die menschlichen Gesellschaften
übertragen. Diese werden nun wie ein Lebewesen, wie ein Organismus
betrachtet: Daraus leitet sich zum einen eine Hierarchisierung von
verschiedenen Kulturen in Beziehung zueinander ab, zum anderen wird das
Bild des Organismus auf die eine Gesellschaft, die NATION, übertragen,
so dass verschiedene soziale, politische und ökonomische Gruppen den
Organen oder Körperteilen gleichgesetzt werden, ihnen bestimmte Rollen
zukommen, sie sich entsprechend zu verhalten haben, damit der
Gesamtkörper funktioniert und nicht erkrankt. Nicht-dazugehörige
Elemente werden entsprechend dieser im NS zugespitzten Logik als
körperfremde Parasiten klassifiziert und zur Ausrottung, zur
Vernichtung zum Wohle und zur Gesundheit des Volkskörpers freigegeben.
Diese Annahmen der Natürlichkeit hierarchischer und
ausschließender Ordnungen und die Ablehnung von Gleichheit und
Selbstbestimmung setzte sich auch in Deutschland nach 45 fort,. Wir
werden bei einem späteren ausführlichen Beispiel dorthin zurück kommen.
Auch übernommen aus den Ideen der romantischen Kulturkritik ist
die ideelle Überhöhung matriarchaler Kulturen und Mystifizierung des
Weiblichen. Auch dazu kommen wir später.
Funktion der Esoterik im Kapitalismus
Wir gehen davon aus, dass Esoterik eine Funktion im Kapitalismus
erfüllt. Subjektiv gesehen bietet die Esoterik mit ihrer gängigen
„Ratgeberliteratur“ Antworten auf offene Fragen, greift durchaus reale
Bedürfnisse des Menschen nach Sinn auf und konstruiert diesen im
kapitalistischen Gefüge:
[Bild 12] Die Energie des Geldes. Klappentext:
Warum ziehen einige Menschen das Geld magnetisch an, während es anderen ständig zwischen den Fingern zerrinnt? Entwicklung spirituellen Geldbewusstseins durch Nutzung der dynamischen Energie des Geldes.
Historisch betrachtet kann man Esoterik als Reaktion auf
gesellschaftliche Umbrüche deuten: Sie kam nach 1848, verbunden mit der
konservativen Konterrevolution und dem Biedermeier auf, verstärkte und
veränderte sich jeweils nach 1918, nach 1968, nach 1989/90.
Im heutigen Kapitalismus, dem sogenannten Postfordismus,
brechen die tradierten Restbestände gesellschaftlicher Strukturen wie
Familie, Glaube und Kultur auf und werden dem kapitalistischen Markt
einverleibt und konsumierbar gemacht. Zum einen wird durch die
Umstrukturierung der Produktions- und Reproduktionsweise Massenkonsum
grundlegend für die Gesellschaft, da der Mensch unabhängig von den
großen Familienbanden lebt. Durch das Aufbrechen der
Geschlechterverhältnisse, durch die erkämpfte Bildung für alle geht
auch die Eingliederung von Frauen in den produktiven Bereich als
„innovatives Humankapital“ einher, d.h. sie werden verfügbar für den
kapitalistischen Verwertungsprozess.
Esoterik ist der Bezug des Menschen auf sich als Subjekt, die
Erhöhung, die Totalität der Subjektivität aufs absolute Innere und wird
von vielen gerade als Verneinung von Konkurrenz und Verwertungslogik
empfunden, ist letztendlich aber das genaue Gegenteil. Die totale
Subjektivierung verneint, dass der Mensch ein soziales Wesen ist.: Ich
bin nicht mehr Subjekt und Objekt der Welt, nicht mehr Produkt meiner
Umwelt und der Verhältnisse, sondern irgendwas übergeordnetes, habe
einen wahren, inneren Kern, der von dieser Welt unbeeinflusst ist, und
zu dem ich durch Meditation, Selbstfindung, Trance oder Rückführung in
frühere Leben vordringen kann. Der Kapitalismus suggeriert dem Subjekt,
dass es alle Möglichkeiten hätte, doch es ist letztlich immer das
Objekt, das dem System dient. Während die kapitalistische
Verwertungslogik nun nur das Objekt Mensch sieht, das seine
Arbeitskraft verkaufen muss, sieht die Esoterik ein vermeintlich reines
Subjekt. Der Mensch ist aber beides und Subjekt und Objekt stehen in
einem dialektischen Verhältnis zueinander. Die Esoterik versucht, den
realen und empfundenen Widerspruch, der zwischen der verdinglichten
Welt und der vermeintlich abgespaltenen „entrückten Existenz einer
anderen Welt“ besteht durch irrationales Denken zu überbrücken. Die
Wirklichkeit als solche wird verneint oder im Sinne einer
Übernatürlichkeit uminterpretiert. Dadurch, dass dieses von der Umwelt
unberührte totale Subjekt Bezugspunkt ist, wird diesem Subjekt auch die
Funktion als Einspruchsinstanz gegen das Bestehende abgesprochen bzw.
als eigene Beschränkung selbst auferlegt. Da mein Kern nichts mit
dieser Welt zu tun hat, muss oder sogar KANN ich auch nichts mit ihr zu
tun haben, keinen Einfluss auf sie ausüben. So wird jegliches
gesellschaftliche Handeln verweigert, gesellschaftlicher Wandel kann
dann nur noch aus einem übergeordneten Kosmos oder Göttlichen kommen
oder aus der subjektiven Innerlichkeit, wenn nämlich genug Individuen
erleuchtet sind, um dem kosmischen Willen zum Durchbruch zu verhelfen,
wie es im New Age gedacht ist. Oftmals wird gesellschaftlicher Wandel
aber auch gar nicht unbedingt gewünscht, es geht für das totale Subjekt
nur noch darum, dass es selbst mit der gegebenen Situation klar kommt.
[Bild 13] Nicht die Gesellschaft ist das Problem, sondern mein Umgang
mit ihr, wenn ich leide, dann bin ich selbst schuld, weil meine
Einstellung dazu falsch ist, weil ich mich noch nicht genug von dieser
Welt gelöst habe. Für die kapitalistische Verwertungslogik ist das
natürlich super: Der Mensch hält still und spielt das Spiel mit, kauft
sich noch diverse Ratgeberbücher und Schnickschnack, konsumiert fleißig
und ist durch das gelegentliche Abdriften in andere Welten ruhig
gestellt.
Beispiele (insg. Ca. 15 min)
Wir kommen nun nach diesem doch sehr theoretischen Teil zu zwei
Beispielen: das erste ist die sogenannte Regenbogen – oder
Ökopaxbewegung von Rudolf Bahro (1935-97) [Bild 14]
Die stärkste Bewegung der Esoterik nach 45 fasst sich zusammen
unter dem Label „New Age“ und ist durch die US-Hippiebewegung geformt.
Ähnlich wie Oswald Spengler 1918 (?) mit dem Buch „Der Untergang des
Abendlandes“ eben diesen prognostizierte, geht „New Age“ von dem Ende
eines Zeitalters und dem Beginn eines neuen – nämlich dem des
Wassermannes – zum Beginn des 21.Jh. aus So wird meist eine
existenzbedrohende gesellschaftliche Krisensituation diagnostiziert,
eine globale Katastrophe kommen gesehen, die ein weltweites Umdenken
erfordert, das aber entsprechend der Prämisse der Innerlichkeit und
Eigenverantwortlichkeit persönliches, individuelles und kein
kollektiv-organisiertes, also politisches Umdenken ist.
Betrachten wir die heutige Umweltsituation ist es nicht sooo
übertrieben, von einer kommenden globalen Katastrophe auszugehen, doch
hakt es bei New Age-Theorien schon bei der Diagnose der Ursachen, ganz
zu schweigen von den zu verschreibenden „Therapien“ oder
Rettungsversprechen. Gesellschaftlich war ein Grossteil der Linken von
68, insbesondere der Friedensbewegung nah oder identisch mit einer
Öko-Bewegung, die um 1980 mit der Verbreitung von Katastrophenszenarien
noch mal Anschub erfuhr, während die politischen und sozialen
„Klassenkämpfe“ der 1970er am abebben waren. So finden sich gerade bei
der Symbiose von Esoterik und Umweltschutzgedanken viele „ehemals
Linke“, die gruselig weit nach rechts gewandert sind. Zu ihnen zählen
u.a. Rainer Langhans (Ex-K1) und Rudolf Bahro (1935-97), um dessen
theoretische Auswüchse es hier exemplarisch gehen soll.
Bahro war bis 1979 in der DDR zum prominentesten linken
Oppositionellen aufgestiegen, dann führender Politiker, bald schon
führender Dissident der Grünen in Westdeutschland (er trat 1985 aus),
1989 zurück nach "Ostberlin", wo er sogar das "Institut für
Sozialökologie" an der Humboldt-Uni aufbauen durfte. Nebenbei gründete
er noch eine 1-2 Landkommunen und schrieb einige Bücher, das
bekannteste und gleichzeitig abstruseste und gefährlichste die Logik der Rettung
von 1987, mit dem er vollständig seine Wandlung vom Marxisten zum
"spirituellen" Ökologen beendete. Zuvor hatte h neuen
Erfahrungsbereichen wie Yoga, Bioenergetik und Meditation geöffnet und
regen Kontakt zu Baghwan [Bild 15] (Sektenführer in USA, der sich dann
Osho nannte) und dessen Kommune.
Für Bahro ist - wie in der Esoterik üblich - nicht die
Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft schuld, sondern das
eigentliche Problem ist immer das menschliche Herz. Die Umwelt-Krise
ist demnach Ausdruck unserer ganz persönlichen Innenwelt-Krisen. Bahros
Credo heißt:
"Mit der Einsicht in die Mitverantwortung für die Selbstzerstörung fängt ein politisches Verhalten, das rettend sein kann, gerade an".
Bahro meint, wir hätten jetzt die "Halbzeit der Evolution". Nun sei
eine "anthropologische Revolution", ein "Bewußtseinssprung" nötig.
Bahro geht es in Abgrenzung zu den Grünen nicht um den Ausbau von
Vogelschutzgebieten und die Erhaltung von Feuchtbiotopen. Er kommt zu
der Annahme, dass nur ein radikaler Ausstieg aus der
Industriegesellschaft, die nach ihm in die Logik der Selbstausrottung
hineingeraten ist, ein wirklicher Ausweg sei. Umweltschutz ist demnach
nicht ausreichend, sondern nur eine nichtsnutzige Reform des zum
Scheitern verurteilten parlamentarisch-demokratischen Systems. Für ihn
ist nämlich dieses heutige politische System im Prinzip wie die
Weimarer Republik- und wie sie unfähig, auf die Krise (damals sozial,
heute ökologisch) zu reagieren. So wie Hitler die Konsequenz aus der
Unfähigkeit der Weimarer Republik war, so muss auch heute ein Führer
ran. in einem Interview 1992:
„In der jetzigen Weltsituation wäre echte Autorität wichtig. Jetzt zu sagen, wir machen Basisdemokratie, unter uns Wölfen, ist Schickimicki.“
Allerdings muss eine Autorität ran, die nicht die gleichen Fehler macht wie Hitler, denn schließlich sei ja die
„Ökopax-Bewegung die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muss Hitler miterlösen“.
[Bild 16] Er glaubt an die Chance jeder Krise und an die
Lernfähigkeit der Deutschen und meint, eine neue deutsche Bewegung
könnte zu etwas Besserem führen als die alte. Bahro bekennt sich offen
zum Nationalsozialismus, was dessen "spirituelles Erbe" angeht. Das ist
die Naturalisierung von Herrschaft und das mit der Autorität heißt
auch, dass Gut und Böse wie Yin und Yang in einem sind. Alles hat halt
zwei Seiten, wie der NS, so auch die neue Regenbogenwelt von Bahro. Und
in der gottgegebenen Ordnung, die in der heutigen Zeit so weit gestört
ist, dass die überbevölkerte Welt kurz vor der Apokalypse steht, haben
halt auch bestimmte unnütze Menschen keinen Platz. Für ihn, wie auch
für Rainer Langhans, auf dessen Diktion vom „Bruder Hitler“ er sich
bezieht, müssen wir von Hitler etwas lernen.
Wir müssen die damalige wie heutige „gerechtfertigte “ „Kritik an Verstädterung, Maschinisierung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung“ übernehmen. Die Kritik (vorher Lebensreform- und Jugendbewegung) konnte von einer auf den technischen Fortschritt und rationale Aufklärung setzenden KPD nicht aufgenommen werden“, sondern eben von den Nationalsozialisten. Alllerdings dürfe sich eine neue Nazi-Bewegung nicht wieder auf das „imperialistische Instrument“ reduzieren lassen, die sie damals geworden sei. . (lgk 396/397)
Bahro schafft hier selbst den Zusammenhang, den wir mit dem kurzen
historischen Abriss der Esoterik darstellen wollten: Die Themen der
neo-romantischen Materialismuskritik sind die gleichen wie heute,
konservative, reaktionäre Kapitalismuskritik. Auch der Kommunegedanke
ist erstens nicht neu und zweitens nicht wenig attraktiv für die Linke.
So wird noch mal deutlich, warum eine Linke, die von den
Kommunistischen Gruppen der 70er und frühen 80erJahre und dem
Zusammenbruch des Realsozialismus enttäuscht ist, zu Bahros
Rekrutierungsfeld wird.
Bahro hat LdR übrigens Ulrike Meinhof gewidmet, Gedicht am Ende zweifelt ihren Selbstmord an….!!!
Bahros positiver Bezug auf das deutsche Volk mit seinen
vorchristlichen Traditionen und seiner NS-Erfahrung, seine Verquickung
von Umweltschutzgedanken, „Kapitalismuskritik“, Organizismus und
Irrationalismus nehmen so – wie sollte es anders sein… – auch
strukturell antisemitische Züge an, wenn er von der Verschwörung des
Finanzkapitals schwafelt usw.
Bahro hat auch grundlegend zum spirituellen Ökofeminismus
beigetragen, auf den jetzt, aber anhand anderer Beispiele Olli weiter
eingehen wird:
Spiritueller Ökofeminismus
[Bild 17] Die feministische Debatten der letzten Jahre spalten sich
im Wesentlichen in zwei verschiedene Ansätze auf. VertreterInnen des
Dekonstruktivismus im Sinne des „doing gender“ Judith Butlers sind
bemüht Geschlechterhierarchien und heteronormative Verhaltenweisen
entgegenzuwirken, in dem sie Geschlecht bzw. Gender als soziale
Konstruktion entlarven und zurecht deren Abschaffung bzw. Auflösung
fordern; die Queer-Bewegung steht u.a. in dieser Tradition.
Die Betrachtung der sozialen Realität hingegen ist weiterhin
Anknüpfungspunkt traditionell ausgerichteter feministischer Strömungen:
Geschlechterdifferenz als soziale Tatsache in der alles in allem immer
noch Männer-dominierten Gesellschaft zieht die Notwendigkeit einer
starken Frauenbewegung nach sich, die versucht mit spezifisch
frauenbezogenen Qualitäten, Organisationen und Netzwerken dem
patriarchalen Mainstream entgegenzuwirken.
Dass beide Ansätze ihre Berechtigung wie auch ihre kritischen
Punkte haben soll hier nicht weiter thematisiert werden. Es soll
lediglich darauf hingewiesen werden, dass emanzipative
Frauenbewegungen, ebenso wie ökologische Bewegungen, in Folge der 68er
einen großen Zulauf fanden. Dass das Ende des Patriarchats in den
darauffolgenden Jahren dann wohl doch etwas auf sich warten ließ,
brachte einen Teil der Bewegung, die dem Differenzansatz zuzuordnen war
dazu, sich nach Alternativen für den Kampf um frauenspezifische Werte
umzusehen.
Ausgangspunkt für den spirituellen Ökofeminismus ist im Sinne
C.G. Jungs Archetypenlehre die Annahme eines „Archetypus der wilden
Frau“, die eine weibliche Schöpferkraft, ein weibliches Urwissen
besäße. In dieser Urkraft seien die Wesenszüge einer „Urfrau“, bzw.
einer „universellen Mutter“ enthalten. Diese Ansichten, zu lesen u.a.
in dem zum Klassiker avancierten Buch „Die Wolfsfrau. Die Kraft der
weiblichen Urinstinkte“ von Clarissa Pinkola Estés finden ihre
wissenschaftliche Entsprechung in der sogenannten
Matriarchatsforschung. Diese geht davon aus, dass es in
vor-patriarchaler Zeit Gesellschaften gab, in denen die politische und
soziale Herrschaft bei den Frauen lag. Der Grundstein für die
Matriarchatsforschung wurde bereits im 19. Jh. vom Juristen und
Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen gelegt. In seinem Hauptwerk
„Das Mutterrecht“ behauptet er, die menschliche Urgesellschaft sei ein
intuitives Matriarchat gewesen, das erst vom rationalen Patriarchat
entmachtet worden sei. Die heutige Matriarchatsforschung greift diese
Annahme auf. Neben den für Frauen besseren Sozialstrukturen im
Matriarchat sei zudem insbesondere der Glaube an eine „Große
Muttergöttin“ prägend gewesen. Diese „große Mutter“ findet ihre
Entsprechung in der „Mutter Natur“ und ist sinnbildlich zu verstehen
für die Zyklen (Werden – Sein – Vergehen) eines kosmischen Weltbildes.
Die Urkraft der Frau basiere somit auf der natürlichen, göttlichen
Verbundenheit mit der Natur, dem kosmischen Ganzen. Oder andersherum
formuliert: Der Natur liegt ein grundsätzlich weibliches Prinzip
zugrunde, welches ihren Ausdruck in der Natur der Frauen findet.
Die Matriarchatsforschung liefert die wissenschaftliche
Legitimation für die Wiederentdeckung und Wiederbelebung angeblicher
weiblicher Traditionen (z.B. Heide Göttner-Abendroth
(Frauennobelpreisnominierung 2005) und ihre Akademie „Hagia“). Ganz im
Sinne esoterischer Ethno-Romantisierung vermeintlich indigener
Kulturtechniken gelten auch in der Matriarachatsforschung angeblich
noch ursprünglich lebende Gesellschaften als Vorzeige-Beispiele.
Die Verbesserung der Situation für die Frauen der Welt wird
dem spirituellen Ökofeminismus zufolge nun dadurch erreicht, dass
Frauen in einem nach innen gerichteten Prozess ihre wahre Natur, die
weiblichen Spiritualität und natürliche Göttlichkeit wieder entdecken.
[Bild 18: Die weibliche Göttlichkeit „entdecke die Göttin in dir“]
Auch Feminismus und Ökologie sind Fritjof Capra, einem populären
Vertreter der neuen Esoterikbewegung, zufolge eng miteinander
verbunden:
„Der spirituelle Gehalt der ökologischen Weltanschauung findet seinen idealen Ausdruck in der von der Frauenbewegung befürworteten feministischen Spiritualität – was angesichts der naturgegebenen Verwandtschaft zwischen Feminismus und Ökologie, die in der uralten Gleichsetzung von Frau und Natur wurzelt, zu erwarten ist.“ (Fritjof Capra 1986: Wendezeit, S. 469)
Unterstützung erhält der spirituelle Ökofeminismus insbesondere
durch New-Age Bewegungen. Die Erwartung des neuen Zeitalters geht
einher mit der Hoffnung des kosmischen Ausgleichs der Welt durch das
„weiblichen Prinzip“. Auch hier liegt eine dualistische Vorstellung der
Existenz typisch männlicher Eigenschaften (z.B. Wettbewerb,
Machtausübung, Expansion und dergleichen) und typisch weiblicher
Eigenschaften (z.B. Zusammenarbeit, Fürsorge, Demut, Friedfertigkeit)
zugrunde. Da das gerade ausgehende Fischzeitalter absolut
Männer-dominiert war, spielen Frauen als „natürliche“ Trägerinnen der
weiblichen Eigenschaften und Werte eine wichtige Rolle in der Erwartung
des neuen Zeitalters. Der Wechsel zum Yin- also weiblich dominierten
Wassermannzeitalter stellt somit die Lösung sämtlicher
gesellschaftlicher Probleme dar.
Beispiel für die Wende (Capra): Frauen hätten bereits in den
entscheidenden gesellschaftlichen Bereichen die Führung übernommen.
Wie das genau funktioniert? Die Emporhebung der Frau zum
Göttlichen sowie die Teilhabe am kosmischen Weiblichen leistet die
Verdrängung von Missständen und/oder Leiden. Soziale Veränderung
erfolgt somit nicht mehr durch gesellschaftliche Gestaltung, sondern
durch die Orientierung der Gesellschaft an „der Natur“, am Kosmos, am
weiblichen oder göttlichen Prinzip, zu dem mensch sich selbst
transformiert hat. Im New Age werden vielmehr die
Unterdrückungsverhältnisse negiert: Wir sind demnach selbst schuld an
ungerechten und unmenschlichen Verhältnissen. „Weiblichkeit“ in diesem
Kontext wird somit zum alle Gesellschaftsbereiche bestimmenden Prinzip.
Dieses haben auch spirituelle Führer wie Bhagwan alias Osho erkannt.
Ihm zufolge entsteht wahre Freiheit und Erlösung des Menschen nur
dadurch, dass gesellschaftliche Widersprüche und eigenständiges Denken
einer „inhaltlosen Bewusstheit“ weichen, in der sich in letztlich
stumpfer Weise den Gegebenheiten unterworfen wird. Diese spezifische
weibliche Eigenschaft müsse der „neue Mensch“ sich zu eigen machen,
womit er Frauen und auch Männer gleichermaßen anspricht. Dass die von
ihm erklärte Natur der Frau nicht zuletzt Ausdruck und Folge
patriarchaler Unterdrückung ist, in der die Möglichkeit von Frauen, ihr
Leben selbst zu bestimmen, von vorne herein gedeckelt wird, scheint
Bhagwan wenig zu stören. Im Gegenteil: er macht daraus vielmehr eine
Tugend. Der Mann wird somit ebenso zum Opfer des Systems. Die
Emanzipation der Frau geht einher mit der Emanzipation des Weiblichen
im Manne. Wenn der Mann das weibliche Prinzip auch für sich annimmt,
können sich beide Geschlechter frei machen von Herrschaft, Gewalt und
Unterdrückung.
Hinter all diesem steckt dieselbe einfache Logik wie bereits
zuvor gesehen: Die Widersprüche des kapitalistischen Systems können
überwunden werden, in dem sie einfach nicht beachtet werden.
„Bedingungsloses Tun“ unter dem Deckmantel einer natürlichen
Weiblichkeit wird zum erlösenden Prinzip erkoren. Anpassung an das
System ist die Devise, eigenständiges kritisches Denken und kollektive
Selbstbestimmung sind dem Funktionieren des Systems abträglich.
Widerspruch zur traditionellen Form des Buddhismus!
Analyse der Beispiele
(insg. Ca. 10min) [Bild 19]
Anhand der Beispiele ist vielleicht schon deutlich geworden,
dass Esoterik eine Vielzahl verschiedener Ideologien vermischt. Dies
ist ein Hauptmerkmal esoterischer Strömungen: an allen Ecken wird sich
bedient, egal ob es sich um politische und/ oder wissenschaftliche
Theorien handelt, oder um Glaubenssysteme: Was gerade in das jeweilige
esoterische „System“ passt, wird aus seinem Kontext herausgelöst
angewandt. Dies macht Esoterik so flexibel für individuelle
Bedürfnisse, aber darin liegt auch ihre Hauptgefahr. Menschen können
esoterische Praktiken durchführen, und diese auf ihre Bedürfnisse hin
oft eindeutig begründen. Auf der anderen Seite wissen sie oft nicht um
den Kontext in dem sie sich ideologisch, oder auch rein personell,
bewegen und sind dadurch anfällig insbesondere für rechte/konservative
Ideologien, die sich durch die gesamte esoterische Ideologie ziehen.
Insbesondere für Linke, die sich in esoterischen Kreisen bewegen (und
davon gibt es nicht wenige...) sollte sich die Frage nach der
Vereinbarkeit ihrer politischen Inhalte mit esoterischer Praxis
stellen. Im folgenden wollen wir etwas gezielter aufschlüsseln, welche
Inhalte esoterischer Ideologie Überschneidungspunkte mit
linkspolitischen Inhalten auf der einen, und mit konservativen bis
rechtsextremen Inhalten auf der anderen Seite bieten.
Der Differenzansatz in der Frauenbewegung hat weiterhin seine
Berechtigung und eine nicht unerhebliche Bedeutung in Fragen der
politischen Gleichstellung der Geschlechter. Im spirituellen
Ökofeminismus wird die Geschlechternorm allerdings in unkritischer
Weise ins Extrem getrieben, anstatt sie zu hinterfragen. Die
anscheinend so wichtige Funktion des „weiblichen Prinzips“ dient der
Manifestierung von Geschlechterstereotypen, denen männliche Interessen
zugrunde liegen, und Frauen ihre bereits erkämpften Rechte wieder
abspricht.
Nicht wenige Frauen aus der 68er-Bewegung haben sich
spätestens in den 80ern auf die Suche nach ihrer weiblichen
Spiritualität begeben. Das Private dieser politischen Frauenbewegung,
welches zur Aufdeckung von Machtverhältnissen genutzt werden sollte,
wurde nun mehr aus dem politischen Betrieb herausgenommen und bleibt
fortan am Herd und im Wohnzimmer. Die vermeintliche Natürlichkeit der
Weiblichkeit führt gerade nicht zu einer Emanzipation vom Mann, sondern
stützt vielmehr die patriarchalen Verhältnisse. (Bezeichnend in diesem
Kontext ist auch, dass gerade die Gurus, Schamanen, und sonstigen
spirituellen Führer, die den Frauen den Weg zum kosmischen weiblichen
Prinzip eröffnen, fast durch die Bank Männer sind.) Wir wollen
sicherlich nicht die Rückkehr zu den tradierten Familien- und
Geschlechterverhältnissen, aber zum einen muss sich bewusst gemacht
werden, dass die Emanzipation und Gleichberechtigung nur bis zu einem
gewissen Grad stattgefunden haben und halt nur so weit, wie es der
kapitalistischen Verwertungslogik dient. Zum anderen wäre eine
Emanzipation von Frauen - und Männern und allen überhaupt –
anzustreben, die weitergehend zu denken wäre.
Die biologistische Auffassung der Gleichsetzung von Frauen und
Natur ist allerdings nicht nur ein Phänomen, welches in der 68er-Folge
Bedeutung fand. Auch heute hält sie Einzug in aktuelle linke
Fragestellungen. So gab es erst Ende letzen Jahres eine Veranstaltung
in einer inzwischen nicht mehr existenten linken Berliner Szenekneipe
von radikalen TierrechtlerInnen, in der über das Ende der patriarchalen
Unterdrückung von Frauen UND Tieren gleichermaßen philosophiert wurde.
Die Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und Tieren wurde dabei
weitestgehend gleichgesetzt so als ob Frauen genauso wenig Bewusstsein
und Handlungsmöglichkeiten hätten wie Tiere.
Auch die Ökobewegung hat bis heute Verbindungen zur
esoterischen Szene. Die Suche nach alternativen Lebensformen, wie z.B.
durch Gründung von Land-Kommunen [Bild 20], hat ihre Anfänge in der
esoterischen Bewegung um 1900. Zu alternativen Lebensformen zählen
sicherlich auch die in Deutschland zahlreich vorhandenen
Waldorfschulen, die in ihren Statuten weiterhin die rassistische
Ideologie der Anthroposophie Rudolf Steiners vertreten.
Auch wenn der Einkauf in Bioläden gemeinhin als politically
correct gilt: zum einen sind diese letztlich auch nur Teil des
kapitalistischen Produktionsprozesses, zum anderen müssen bestimmte
Biomarken wie Demeter und Weleda auch in ihrem historischen Kontext
betrachtet werden. Dies soll jetzt nicht bedeuten, dass der Einkauf in
Bioläden per se schlecht ist, mir persönlich schmeckt Bio-Essen auch
besser. Aber letztendlich, um an dieser Stelle auch mal den guten
Adorno zu zitieren, sollte immer bedacht werden, dass es kein richtiges
Leben im falschen gibt.
Wo wir gerade bei der Öko-Linken sind [Bild 21]: Das Interesse
an der Natur sowie an den vermeintlich unverdorbenen „Naturvölkern“ im
globalen Süden (z.B. Ethnoschmuck, Ethnoart, Schamanismus,
Indien-Hype....) kann zwar ganz nett sein, muss aber genauso
reflektiert werden. Ethno-Romantik und Rassismus gehen fliessend
ineinander über. Wenn ich davon ausgehe, dass sich an einem anderen
Ende der Erde eine heile, ursprüngliche Kultur finden lässt, dann
spreche ich den TrägerInnen dieser Kultur ab, reflektierte Menschen zu
sein, die eben wie ich als WestlerIn kritisch mit den globalisierten
Gegebenheiten umgehen können. Sie sind entweder ausschließlich Opfer
von Kolonialismus und Globalisierung und müssen paternalistisch
geschützt werden, oder sie sind gleich Teile einer aussterbenden Rasse,
die entsprechend der Sinnhaftigkeit aller kosmischer
Karma-Zusammenhänge sowieso keine Daseinsberechtigung haben oder– wie
Blavatsky es schreibt:
Eine „Dezimierung“ „niederer Rassen“, wie es z.B. durch den Kolonialismus geschieht, ist Teil des Karmas dieser Rasse, „ihr Verlöschen daher eine karmische Notwendigkeit“.
Ebenso ist der Antisemitismus integraler Bestandteil der Theosophie,
viel stärker noch der Ariosophie bis hin zum
Vernichtungsantisemitismus. Im neuen rechten Denken sind ebenso wie in
linker Kapitalismuskritik viele Verschwörungstheorien zu finden, die
von einer Fremdsteuerung der eigenen Gesellschaft durch das heimatlose
Kapital und/oder zionistischen Geheimbünden ausgehen.
Es ist nicht nur die aufgezeigte historische und damit auch oftmals
personelle Kontinuität, die die Esoterik mit faschistischem,
rassistischem und antisemitischem Gedankengut verbindet, sondern es
sind oftmals grundlegende übereinstimmende Konzepte. Das ist bei Bahros
Äußerungen zu Hitler offensichtlich, manchmal aber bedarf es der
näheren Analyse, um die Ähnlichkeiten festzustellen. Aufschluss gebend
ist die Betrachtung der Rechten, die oft gar nicht so unesoterisch ist:
Es wird geträumt von einem neuen – neo-faschistischem – Zeitalter, die
Natürlichkeit von Herrschaft und Hierarchien wird betont, der Bezug auf
deutsche Volk oder die europäischen Völker – und jedes hat seinen
natürlichen Lebensraum - ist absolut positiv. Auf nicht wenigen
Internetseiten wie dem Buchversand Andromeda werden neben Büchern über
Atlantis, über UFOs, die wildesten Verschwörungstheorien auch alte
faschistische Literatur angeboten und Bücher von Holocaust-Leugner
David Irving vertrieben. Auf der Seite bin ich über einen Beitrag zu
Katherine Tingley gestolpert, die als zweite Nachfogerin von Blavatsky
gilt und in Bezug auf eine andere Person der Theosophie erwähnt wird.
Folgendes Zitat von der Seite Andromeda-Buecher.de komprimiert schön
die Vermischung von „ursprünglicher“ Theosophie und Neonazischeiße:
Katherine Tingley, (…) ist daher in besonderer Weise mit dem Schicksal Deutschlands verbunden, auch wenn ihr Hauptwunsch eines theosophischen Weltzentrums und einer Mysterienschule in Deutschland, verbunden mit einem umfangreichen Bücherarchiv,(…) damals nicht in Erfüllung gehen konnte. […]Den Impuls jedoch, den Grundstein für Deutschlands Erwachen, den hat sie gesetzt und die Verbindungskette geschmiedet. Heute steht Deutschland - wie so oft in seiner tausendjährigen Geschichte - vor seiner vollständigen biologischen, seelischen, geistigen, wirtschaftlichen, moralischen Vernichtung durch die von HPB und Paracelsus angekündigte jüdisch-jesuitische Talmud-Fremdherrschaft.
So gibt es diverse Gruppen und Strömungen, die aus Theosophie,
Rassenkunde, heidnischer Religion und Faschismus gleichermaßen
schöpfen. Das Thule-Seminar z.B.[Bild 22], angesiedelt in Kassel,
versteht sich nach eigener Aussage als "geistig-geschichtliche
Ideenschmiede für eine künftige europäische Neuordnung aller
europäischen Völker unter besonderer Berücksichtigung ihres
biokulturellen und heidnisch-religiösen Erbes". Es kann als
rechtsextreme Intellektuellen-Gruppe der "Neuen Rechten" zugeordnet
werden [Bild 23].
Daneben gibt es noch den Armanen-Orden, Vetreter der
Ariosophie (Motto: Arier aller Länder vereinigt euch), der in direkter
Kontinuität zum NS steht und sich als heidnische Religionsgemeinschaft,
Hüter der germanischen und keltischen Traditionen, der europäischen
Kultur und der weissen Rasse versteht. Es zeigt sich, dass gerade die
unpolitischen Gruppen von den rechtsextrem ausgerichteten, wie dem
Armanen-Orden, instrumentalisiert werden können. Inwieweit die
„Heidenszene" dürfte über den AO „rechts" unterwandert ist, lässt sich
schwer sagen [Bild 24], treffen tun sie sich aber oft, nicht zuletzt an
„spirituellen Orten“ wie den Externsteinen. [Bild 25]
Neben der seit 1907 fast kontinuierlich bestehenden
Germanischen Glaubensgemeinschaft gibt es z.B. auch noch die Deutsche
Unitarier Religionsgemeinschaft, die 1946 von inhaftierten Nazi-Grössen
gegründet wurde, um unter dem Deckmantel der Religion weiter
nazistisch-religiöse Ideologie verbreiten zu können. Sie unterhält auch
Kontakte zu Osho/Baghwan.
Zu erwähnen sein hier auch noch Bert Hellinger [Bild 26],
geboren 1925, der Guru/ die Koryphäe der „systemischen
Familientherapie“. Seine Therapieform der Familienaufstellung ist seit
den 1990er Jahren über die Eso-szene hinaus extrem angesagt. In seinen
Büchern, Texten und Interviews sind die Rollenverteilung innerhalb von
Familien / „Sippen“, sowie der Umgang mit Inzest und sexuellem
Missbrauch Schwerpunkte seines Ansatzes. Dennoch liegt dem ein rechtes
Welt- und Gesellschaftsbild zugrunde, das auch er selbst auf
geschichtliche und politische Prozesse überträgt.
Die „Sippe“ ist bei Hellinger eine unantastbare Einheit
innerhalb der kosmisch-göttlichen Ordnung, in der selbst eine
universelle Ordnung herrscht. Psychologische Probleme der Ratsuchenden
sind immer durch die Störung dieser Ordnung zu erklären: ein
„Sippenmitglied“, in den meisten Fällen die Mutter oder eine andere
Frau hat gegen die Rangordnung verstoßen. Durch das Akzeptieren ihrer
natürlichen Rollenverteilung, durch das Erkennen der eigenen Position
in der familiären und göttlichen Ordnung sind die Hilfesuchenden zu
therapieren. Sie müssen sich auch der autoritären Führung des
Therapeuten unterwerfen, der ihnen die Fähigkeit abspricht, ihre
Lebensverhältnisse selbst zu erklären und zu reflektieren und dann zu
ändern. Die Befreiung aus schädigenden Abhängigkeits- und
Herrschaftsverhältnissen und die Entwicklung eigener Fähigkeiten ist
nicht das Ziel Hellingerscher Therapie.
In Bezug auf Vergewaltigung sind Täter letztendlich keine
individuell Handelnde sondern Spielball von etwas Größerem. Täter und
Opfer müssen ihre Position annehmen, was so weit geht, dass die
Vergewaltigte im Nachhinein die Vergewaltigung gutheissen, eigene Größe
durch Dankbarkeit gegenüber dem Täter beweisen solle, indem sie sich
bei der Familienaufstellung bei dem Stellvertreter bedankt und/oder
sich vor ihm verbeugen und „Ich gebe dir die Ehre“ sagen muss.
Hellinger überträgt sein Konstrukt der natürlichen Ordnung von
Sippe auch auf die Shoah und andere politische Ereignisse: In Bezug auf
den NS und mordende Neonazis sagte Hellinger:
„Auf der Ebene von: ‚Da muss man doch was machen, das darf doch nicht mehr passieren’ herrscht die Vorstellung, als hätten die Täter selbstbestimmt gehandelt.
Also: Dieser Betrunkene hat das gemacht, oder Eichmann hat die Judenvernichtung organisiert. Ich gehe da auf eine andere Ebene: Ich sehe sie alle auf einer Ebene von Schicksal, das alle handeln lässt. Jeder ist ausgeliefert.“
Wer gegen seine Berufung, und sei es die des mordenden
Wehrmachtsoldaten rebelliert und sich diesem Sippen- oder
Volksschicksal verweigert, begeht nach Hellinger eine große Schuld.
Letztendlich geben die wenigsten Gruppen oder Strömungen ihre
personelle oder ideologische Nähe zu den Nazis zu. Entsprechend der
Prämisse, dass ja alles auf Erfahrung und Erleuchtung beruht, dass es
eine unwissenschaftliche universelle Wahrheit gibt, sind Diskussionen
über rechte Inhalte mit EsoterikerInnen schwer zu führen. Nicht zuletzt
die Anthroposophische Gesellschaft hat sich lange, trotz Drucks von
Aussen und Innen – also eigenen Mitgliedern – dagegen geweigert, den
Rassismus und Antisemitismus von Rudolf Steiner und die mögliche
Kontinuität in der Verbreitung seiner Lehre aufzuarbeiten.
[Bild 27]
Fazit (ca. 5min)
Die zahlreichen Verbindungen zwischen rechter Ideologie und
esoterischer Geschichte und Praxis lassen es zunächst einmal zumindest
fragwürdig erscheinen, ob ein linkspolitischer Anspruch mit
esoterischen Inhalten vereinbar ist. Wie wir versucht haben zu zeigen,
muss eine Analyse allerdings noch weiter gehen.
Gesellschaftliche Veränderung kann nur stattfinden, in dem die
Individuen, wie auch die Gesellschaft, sich immer wieder selbst
kritisch hinterfragen. Dieses bedeutet auch, sich immer wieder seiner
widersprüchlichen Position als Subjekt sowie gleichermaßen als Objekt
im kapitalistischen System zu stellen. Dieses sind unserer Ansicht nach
wesentliche Aspekte einer emanzipatorischen Politik. Im esoterischen
Weltbild wird aber genau das nicht getan: Kritisches Hinterfragen
seiner eigenen Position im dialektische Zusammenhang mit den den
gesellschaftlichen Verhältnisse ist in diesem Weltbild nicht erwünscht.
Die Individuen sollen sich vielmehr auf sich selbst konzentrieren.
Esoterik ist also in allen Bereichen, von dem organizistischen Weltbild
über die Naturalisierung eines sogenannten weiblichen Prinzips bis hin
zur systemstützenden Integration in das kapitalistische System,
unemanzipatorisch, und daher nicht mit linker Politik vereinbar.
Esoterik und linke Politik schließen sich also aus: Wer linke Politik
betreiben, also die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern will, kann
keine esoterischen Inhalte vertreten, da diese einer Veränderung des
Systems entgegenstehen und entgegenwirken. Wer auf der anderen Seite
ein esoterisch geprägtes Weltbild vertritt, nimmt sich selbst damit
jegliche Möglichkeit politischer Einflussnahme an den Verhältnissen, da
er oder sie nur auf das persönliche Seelenheil fokussiert ist.
Die Gefahr esoterischer Ideologie sollte ernst genommen werden,
denn die Widersprüche des Systems, in dem wir derzeit leben bleiben
weiterhin vorhanden. Irrationale Weltanschauungen sind ein leichter
aber äußerst effektiver Weg diese Widersprüche zu umgehen. Insbesondere
eine Linke hat die Schwierigkeit, sich immer wieder der Dialektik des
kapitalistischen Systems stellen zu müssen: Die Verhältnisse einerseits
ändern zu wollen, andererseits im Kapitalismus leben zu müssen, in dem
Wissen, ihn in seinem/ihrem eigenen Leben nicht überwinden zu können.
Letzteres führt bei vielen Menschen (nicht nur Linken) zu der Suche
nach einem Sinn in ihrem Leben und macht sie anfällig für irrationale
Weltanschauungen. Um Kapitalismuskritik und gesellschaftliche
Veränderung sinnvoll voranzutreiben, müsste sich eine Linke deshalb
auch diesem Phänomen zuwenden.
Linke Politik ist aber primär an der Totalität der Gesellschaft
orientiert; Kritik an den Verhältnissen wird oft anhand abstrakter
Theorien geführt, die sich meist auf die Analyse kapitalistischer
Vergesellschaftung konzentrieren. Um der Gefahr esoterischer
Vereinnahmung entgegen treten zu können wäre es demnach nötig, die
Subjektpositionen der einzelnen Individuen in der Gesellschaft mit in
eine kritische linke Analyse einzubeziehen. Die einzelnen Bedürfnisse
der Menschen müssten mit einbezogen werden in die Frage danach, wie
emanzipative Politik sinnvoll betrieben werden kann.
Vielleicht wird sich nun am Ende für den einen oder die andere
die Frage stellen, ob wir nicht alle ein bisschen Eso sind? Wir haben
für uns auch keine abschließenden Antworten auf die Fragen gefunden, ob
und wo wir unser Bioessen kaufen und welche Form der
Entspannungsmassagen oder Heilmethoden wir gutheißen oder nicht. Um so
wichtiger ist es, die Widersprüche nicht zu ignorieren, sondern
auszuhandeln. In diesem Sinne, vielen Dank fürs zuhören und die
Diskussion ist eröffnet.
[Bild 28]
|
|